Lautlose Nacht | Rosamund Lupton

Cover des Buches: dunkelblaues Eistreiben, aus dem Augen herausschauen. Sieht aus, wie die Scheibe des Lastwagens, in dem Ruby mit ihrer Mutter unterwegs ist.
Wer hätte gedacht, dass ein Thriller es unter die Top Five meiner liebsten Liebesgeschichten schafft und mir sogar ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann. „Lautlose Nacht“ ist nach langer Zeit mal wieder ein Buch, dass mich ins Genre der Krimis und Thriller entführt. Ich lese eigentlich bevorzugt Bücher, die mich fröhlich machen und zum Lachen bringen, und natürlich gehören auch Liebesgeschichten dazu. Dies hier ist eine ergreifende Geschichte über die Kraft, die wahre Liebe tief in uns drin auslösen kann, die einen auch noch begleitet, wenn man den Buchdeckel schon längst geschlossen hat. Und über ein sehr starkes bewundernswertes Mädchen namens Ruby.

»Das hatte Dad gesagt – sie verloren nie die Hoffnung. Dabei finde ich, es sollte heißen, ›sie hielten die Hoffnung fest‹, weil Hoffnung etwas Warmes ist, was man gern ganz dicht an sich drückt.«

Ruby ist zehn Jahre alt und taub. Da ist es natürlich nicht so einfach Anschluss zu finden. Aber ihr Vater versteht sie. Nimmt sie so an, wie sie ist. Er ist in Alaska, Anaktue als Tierfilmer unterwegs. Endlich sitzen sie und ihre Mutter Yasmin im Flugzeug auf dem Weg zu ihm. Doch vor Ort wird die Vorfreude jäh gebremst. Es gab einen schlimmen Unfall, bei dem alle 23 Bewohner von Anaktue und ein weiterer verbrannt sind. Die Polizei übergibt Yasmin den Ehering von Matt. Doch auch wenn alle Fakten dagegen sprechen, tief in ihr spürt sie – es kann nicht stimmen. Es darf nicht stimmen. Um Ruby Willen, um ihrer Liebe Willen. Alle glauben den Fakten und schreiben Yasmins Reaktion dem Schock zu. Es hängt also an ihr, die Liebe ihres Lebens und Rubys Draht zur Welt zu retten.

»›Wusstest du, dass es im Weltraum vollkommen still ist? Selbst wenn Sterne explodieren, machen sie überhaupt kein Geräusch.‹ ›Dann hören im Weltraum alle Leute so viel wie ich.‹«

DTV-VERLAG

PAPERBACK
ALLGEMEINE BELLETRISTIK
384 SEITEN
ERSTERSCHEINUNG: 26.10.2018
10,95 €

»In ihrer Vorstellung war diese Liebe eine Metallkugel tief im Erdkern, tausend Meilen unter dem Asphalt, den Stränden und Marschen, auf denen sie sich bewegten, eine magnetische Kugel, die sie in der Welt verankerte.«

Ich habe jeden Buchstaben dieser Geschichte in mich aufgesogen. Bei manchen Büchern passiert es mir, dass ich Seiten überfliege, weil man das Gefühl hat, hier wird nur beschrieben, um am Ende auf 500 Seiten zu kommen. Aber Rosamund Lupton verpackt in jedem dritten Satz Lebensweisheiten, die man sich eigentlich sofort übers Bett pinnen müsste. Wie mein Geschichtslehrer schon immer sagte: So lang wie nötig, so kurz wie möglich. Der Schreibstil hebt sich von der breiten Masse ab, hier stimmt wirklich alles bis ins letzte Detail.

»Eine Erinnerung stieg in ihr auf, intensiv in der Dunkelheit. Zehn Jahre hatte sie nicht mehr daran gedacht, aber jetzt schien sie kaum Minuten her zu sein. Manchmal kam es Yasmin so vor, als würde die Zeit nicht linear verlaufen, sondern in Kurven, dass sich Vergangenheit und Gegenwart in einer einzigen Empfindung treffen konnten.«

Zunächst fiel es mir auf den ersten Seiten fast schwer, der Geschichte zu folgen. Und das ist das Tolle an diesem Buch. Es ist, als würde man in eine fremde Stadt fahren und weiß nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Man beginnt dann Stück für Stück das Unbekannte zu erkunden, und aus den einzelnen Puzzleteilen wird irgendwann ein vollkommenes Bild. Bei Büchern, die aus verschiedenen Perspektiven erzählen, bin ich immer Feuer und Flamme. Hier kann man gleich in mehrere verschiedene Rollen hineinschlüpfen und fühlt sich dadurch mitten im Geschehen. Rosamund Lupton schafft es, dass sich die Decke, in der man sich gerade eingemummelt hat, in einen dicken Polarparka verwandelt und man plötzlich hinter Ruby und Yasmin im Truck sitzt.

»Mum glaubt nicht, dass die Mail von Dad ist. Und das Bild ist schon grausig. Aber manchmal passieren in der Wildnis grausige Dinge. Und Dad sagt, man muss die Tiere so sehen, wie sie sind, nicht disneyfiziert. Dieser Moschusochse ist merkwürdig, vielleicht will Dad ihn deshalb seinen Filmleuten schicken.«

Man merkt gleich, dass in diesem Buch unglaublich viel Recherche steckt. Über Ruby, die taub ist, über ihre Mutter Yasmin als Physikerin, über ihren Vater Matt als Tierfilmer und über die Schönheit eines einzigartigen Landes. Obwohl ich noch nie Alsaka war, habe ich jetzt das Gefühl, schon einmal dort gewesen zu sein, das Land von innen heraus zu kennen. Den Charakter, wie rau es dort sein kann und was es den Menschen, die dort leben, alles abverlangt. Aber auch die schönen Seiten, die Sterne. Man hat das Gefühl in so einer kargen Umgebung wird die Sicht für das Wesentliche geschärft.

»Land, Himmel und Schnee waren zu einer einzigen unendlichen, fremden Einheit verschmolzen. So musste Verzweiflung aussehen, dachte Yasmin, so hatte es ausgehen, als ihre Mutter gestorben war. Genauso eine trostlose, leere, ununterscheidbare Einsamkeit. Irgendwo da drin war Matt.«

Mein absolutes Highlight ist Rubys Twitter-Account @Words_No_Sounds. Es ist faszinierend wie bewusst Ruby ihre Umwelt wahrnimmt und alles auf anderen Ebenen erfasst. Ich stand beim Lesen permanent unter Spannung, bangte und hoffte auf der Reise durch das Eis mit Ruby und schmolz dennoch dahin.

@Words_No_Sounds; ANGST: Sieht aus wie ein Schachbrett mit hin und her springenden Feldern, fühlt sich zitternd und schweißig an.

Für uns sind Worte selbstverständlich – und dass sie auch ankommen. Doch für Ruby begründen sie ihre Existenz. Kinder können so brutal sein, denn immer nur als das „taube Mädchen“ wahrgenommen zu werden, ist das, was für Ruby am schwersten ist. Doch es gibt immer zwei Seiten. Die wunderschöne und atemberaubende Eis-Landschaft Alaskas, die auf der einen Seite alles so friedlich und zauberhaft erscheinen lässt und doch gleichzeitig so unbarmherzig und bedrohlich. Meine Nackenhaare haben sich aufgestellt, die Angst saß mir im Nacken bis zur letzten Sekunde – so wie Yasmin die Verfolger – und dennoch war mein Herz gewärmt von der Liebe.

»So laut sie konnte, brüllte sie seinen Namen in die Finsternis hinaus. Ihre Lippen formten den Laut, und ihre Lungen verstärkten ihn zu einem Schrei, aber der Wind löschte alles sofort aus – sie hätte nicht sagen können, ob sie überhaupt ein Geräusch von sich gegeben hatte. Es war, als hätte sich um sie herum ein Raum aus Nichts gebildet, und sie könnte sich nicht mehr sicher sein, ob sie überhaupt noch da war. «

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